Marketingcontrolling

Marketingcontrolling
von Professor Dr. Sven Reinecke und Professor Dr. Torsten Tomczak
In der deutschsprachigen Marketingwissenschaft erlebt das Thema Marketingcontrolling nach intensiven Forschungstätigkeiten zu Beginn der 80er Jahre einen neuen Höhepunkt. Beim Marketingcontrolling handelt es sich um ein klassisches Schnittstellenthema zweier betriebswirtschaftlicher Forschungsteilgebiete. Marketing und Controlling stehen in einem ambivalenten Verhältnis zueinander. Einerseits werden sie als Zwillingsschwestern charakterisiert, weil beides übergreifende Konzepte sind, die nicht das Privileg einzelner Experten sein sollten. Andererseits kommt ein natürlicher Ziel- und Interessenkonflikt zum Ausdruck, wenn Marketing als „Führung vom Markt her“ und Controlling als „Führung vom Ergebnis her“ gesehen wird. Traditionell werden Marketing und Controlling daher unterschiedliche Zielfunktionen zugeordnet: Controlling sei darauf ausgerichtet, die Wertziele des Unternehmens zu erreichen, wohingegen das Marketing primär Sachziele verfolge. Diese Trennung ist vor dem Hintergrund der neueren Entwicklungen in beiden Bereichen nicht mehr zweckmäßig. Letztlich verfolgt auch das Marketing als betriebswirtschaftliche Funktion Wertziele, und beim strategischen Controlling stehen unzweifelhaft auch Sachziele im Vordergrund.
P. Horváth unterstreicht einen wesentlichen, allgemein akzeptierten Unterschied zwischen Marketing und Controlling: „Marketing – im Sinn von Marketing-Management – ist eine unmittelbare Managementaufgabe. Marketing bedeutet Entscheidungsfindung, [...]. Controlling hat im Hinblick auf die Entscheidungsfindung des Managements in erster Linie eine unterstützende Aufgabe.“ (Horvath, P., Die Aufgaben des Marketing-Controllers, S. 13).
Marketingcontrolling darf sich nicht darauf beschränken, lediglich Konzepte des Controllings unreflektiert auf das Marketing zu übertragen; vielmehr muss das Marketing ein weitgehend eigenständiges, problembezogenes Instrumentarium entwickeln, das v.a. drei Besonderheiten gerecht werden sollte:
Explizite Berücksichtigung der Kunden- und Konkurrenzorientierung: Versteht man Marketing als marktorientierte Unternehmensführung, so sollte ein marktorientiertes Controlling sicherstellen, dass alle Managementbereiche (Informationsversorgung, Planung, Kontrolle, Organisation und Mitarbeiterführung) sowohl kunden- als auch konkurrenzorientiert sind. Externe Daten aus der Markt- und Konkurrenzforschung erhalten damit einen hohen Stellenwert; interne Informationen v.a. aus dem Rechnungswesen sind zwar wichtig, nehmen aber keine Vorrangstellung ein.
Eindeutige Integration der Sachziel- und Potentialorientierung: Marketingcontrolling koordiniert die Sachziele nicht lediglich indirekt über die Wertziele; vielmehr müssen nichtmonetäre Zielgrössen explizit berücksichtigt werden.
Sicherstellen der Durchgängigkeit eines marktorientierten Führungssystems: Neue Ansätze des Marketingcontrollings müssen der „Abkoppelung“ des Marketing als Spezialistenfunktion entgegenwirken sowie dazu beitragen, die hohe Komplexität zu bewältigen. Marketingcontrolling sollte ferner helfen, Marketingstrategien besser situativ zu realisieren und koordiniert umzusetzen (Marketingimplementierung).
Die Diskussion des Marketingcontrollings ist im deutschsprachigen Raum durch informations- und primär durch koordinationsorientierte Ansätze gekennzeichnet; sie wurde v.a. von R. Köhler geprägt. Er leitet die Aufgaben des Marketingcontrollings aus den allgemeinen Managementfunktionen ab (Planung, Organisation, Mitarbeiterführung, Überwachung): Im Mittelpunkt steht die aufgabenentsprechend gestaltete Informationsversorgung für alle Funktionen des Marketingmanagements. Das Ziel des Marketingcontrollings besteht darin, durch Koordination die Effizienz zu erhöhen. Marketingcontrolling beschränkt sich somit nicht auf die Verknüpfung von Marketingplanung und -überwachung, sondern schließt Aspekte der Koordination und der Mitarbeiterführung ein. Es umfasst folgende Aufgaben:
Informationskoordination für die Marketingplanung: Hierunter fallen die problembezogene Informationenbündelung und -koordination insbesondere aus dem Rechnungswesen und der Marktforschung sowie als besonderes Problem die Abstimmung von strategischen und operativen Marketingplänen.
Durchführung von Marketingkontrollen und -audits: Kontrollen und Audits lassen sich unter dem Begriff der Überwachung zusammenfassen. Kontrollen sind rückblickende Soll-Ist-Vergleiche. Audits sind dagegen Ausprägungen einer eher zukunftsorientierten Überwachung mit Feedforward-Charakter, die sich mit den Voraussetzungen für die künftige Nutzung von Erfolgspotentialen beschäftigen. Es lassen sich Verfahrensaudits, Strategienaudits, Marketing-Mix-Audits und Organisationsaudits unterscheiden.
Problemspezifische Informationsbereitstellung für Organisationseinheiten des Marketing: Marketingcontrolling muss auf die spezifischen Problemsichten der jeweiligen Organisationseinheiten eingehen, beispielsweise von Produkt- und Kundensegmentsmanagement, sowie die Schnittstellen zwischen diesen Einheiten koordinieren.
Controllingbeiträge zur Mitarbeiterführung im Marketingbereich: Hierzu zählen u.a. die Gestaltung von Anreizsystemen für den Aussendienst sowie die Bildung interner Verrechnungspreise für Servicestellen wie die Marktforschung.
Koordination der Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Aufgabengebieten: Die Aufgaben sind eng miteinander verflochten und müssen abgestimmt werden. Ferner sind die Schnittstellen zwischen dem Marketingcontrolling und den anderen betrieblichen Funktionsbereichen zu gestalten.
In neueren Veröffentlichungen legen Weber et al. die Basis für einen integrierenden Rationalitätssicherungsansatz des Controlling. Controlling wird als eine spezifische Form der Qualitätssicherung der Führung verstanden, die die Aufgabe hat, die Rationalität der Führung sicherzustellen. Die Abbildung „Sicherung der Rationalität marktorientierter Unternehmensführung“ reflektiert die vier von Weber und Schäffer erarbeiteten „Rationalitätsengpässe“ marketingbezogen:
Marketingcontrolling muss gewährleisten, dass das Marketingmanagement mit den erforderlichen Informationen aus dem eigenen Unternehmen und bezüglich Kunden, Konkurrenz und Marktpartnern versorgt wird. Im Informationszeitalter stehen dabei zunehmend individuelle Kundeninformationen wie auch das rechtzeitige Erkennen von Technologie- und Marktentwicklungen im Mittelpunkt. Eine zentrale Aufgabe des Marketingcontrolling ist dabei die Konzeption von Marketingkennzahlensystemen.
Marketingcontrolling muss sicherstellen, dass in der Phase der Willensbildung Reflexion und Intuition in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Zwischen Planung und Kreativität besteht ein fruchtbares Spannungsfeld.
Neben der Koordination der Instrumentenvielfalt muss das Marketingcontrolling v.a. ein durchgängiges Marketingführungssystem und somit eine reibungslose Marketingimplementierung gewährleisten. Das Überwachen des Marketing und besonders des Marketing-Mix mittels Kontrollen ist ein unverzichtbarer, wenn auch bisher vernachlässigter Bereich des Marketingcontrollings.
Marketingcontrolling berührt maßgeblich Aspekte des Personalführungssystems (Anreizgestaltung, Mitarbeiterselektion) und der Organisation (Kompetenzverteilung); daher kann es nicht allein auf das Planungs-, Informations- und Kontrollsystem beschränkt werden.
Marketingcontrolling umfasst somit das Sicherstellen von Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit) einer marktorientierten Unternehmensführung.
Literatur: Deyhle, A., Marketing-Controlling – Das Denken vom Kunden her, in: Controller Magazin, 1 (1988), S. 15–20; Horváth, P., Die Aufgaben des Marketing-Controllers, in: Eschenbach, R. (Hrsg.), Marketing Controlling, Österreichischer Controllertag 1985, Wien 1985 S. 7–29; Kotler, P., Kotler on Marketing, How to Create, Win, and Dominate Markets, New York 1999; Köhler, R., Marketing-Controlling: Konzepte und Methoden, in: Reinecke, S./ Tomczak, T./ Geis, G. (Hrsg.), Handbuch Marketingcontrolling, St.Gallen, Wien 2001, S. 12–31; Link, J./ Gerth, N./ Vossbeck, E., Marketing-Controlling, Systeme und Methoden für mehr Markt- und Unternehmenserfolg, München 2000; Meffert, H., Marketing – Grundlagen marktorientierter Unternehmensführung, 9. Aufl., Wiesbaden 2000; Meffert, H., 16 Meffert-Thesen zu Marketing und Controlling, in: Absatzwirtschaft, 9 (1982), S. 100–107; Töpfer, A., Audit von Business Excellence in der marktorientierten Unternehmensführung, in: Reinecke, S./ Tomczak, T. Dittrich, S., Marketingcontrolling, St. Gallen 1998, S. 44–59; Töpfer, A., Marketing-Audit, in: Tietz, B./ Köhler, R./ Zentes, J. (Hrsg.), Handwörterbuch des Marketing, 2. Aufl., Stuttgart 1995, Sp. 1533–1541; Reinecke, S., Marketing Performance Management – Empirisches Fundament und Konzeption für ein in die Marketingplanung integriertes Kennzahlensystem, Habilitationsschrift an der Universität St. Gallen, St. Gallen 2004; Reinecke, S./ Tomczak, T./ Geis, G. (Hrsg.), Handbuch Marketingcontrolling: Marketing als Motor von Wachstum und Erfolg, St. Gallen, Wien 2001; Weber, J., Einführung in das Controlling, 8. Aufl., Stuttgart 1999; Weber, J., Einführung in das Controlling, 9. Aufl., Stuttgart 2002; Weber, J./ Schäffer, U., Sicherstellung der Rationalität von Führung als Controllingaufgabe?, WHU-Forschungspapier Nr. 49, April, Vallendar 1998. Literatursuche zu "Marketingcontrolling" auf www.gabler.de

Lexikon der Economics. 2013.

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